Radeln?

Unter dem Titel "Brutal Berlin: Warum Fahrradfahrer viel aggressiver sind als Autofahrer" kritisiert die Berliner Zeiting am 2. Juli die Fahrradfahrer der Stadt. Der Taxi-Soziallotse hat auch seine Erfahrungen mit den Radelnden [1] gesammelt.

4. Juli 2022 von Klaus Meier
 

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Die Berliner Fahrradfahrer, und um gerecht zu sein, müssen hier die weiblichen und allerleigeschlechtlichen Exemplare der Gattung einbezogen werden, sind der größte Stressfaktor für Taxifahrer und alle anderen, die jeden Tag viele Stunden lang schwere Maschinen durch die Stadt bewegen. Im Grunde sollte das dank der Regeln der Straßenverkehrsordnung eine pure Konzentrationsübung sein.

Zur krankmachenden seelischen Belastung vulgo „Stress“ wird die Arbeit, weil sich immer häufiger Menschen auf Zweiräden unter Mißachtung aller Regeln und Gesetze vor die motorisierten Fahrzeuge werfen, als ob sie das Morgen nicht mehr erleben wollten.

Das hat eine ähnliche Wirkung, wie wenn Passanten mehrmals täglich ohne Vorwarnung von mit Messern bewaffneten Lebensmüden in dem Versuch angesprungen würden, sich von ihnen die Klinge ins Herz rammen zu lassen.

Einen Angriff pro Tag steckt man aller Erfahrung nach problemlos weg. Das gekonnte Ausweichen, bei dem man den Schaft des Messer so vermeidet, daß man es nicht in die Brust des Suizidalen treibt, haben wir alle jahrelang in der Praxis trainiert. Die Reaktion erfolgt prompt, ohne Nachdenken, in Sekundenbruchteilen.

Die unaufhörliche Zunahme der Nutzer von zweirädrigen Höllenmaschinen führt jedoch zu in der Regel mehreren dieser Attacken am Tag. Das überfordert unser Mitgefühl und macht uns am Ende krank. Wir sind keine gewissenlosen Angehörigen von Sondereinsatzkommandos, die sich nach erledigtem Tagwerk die Welt schöntrinken.

Was tun? Wir selbst können nur noch vorausschauender, noch entspannter und vor allem noch langsamer fahren. Damit schaden wir unserem Verdienst, denn der berechnet sich aus den stündlich mit Fahrgast zurückgelegten Kilometern. Chef und Portemonnaie verlangen sehr zügiges Fahren von uns.

Die Lösung kann eigentlich nur darin bestehen, Platz zu schaffen in Berlin. Alle privaten Autos, alles was nicht öffentlicher Nahverkehr ist, muß raus aus der Innenstadt. Für Lieferungen, für das Handwerk brauchen wir ein öffentliches Transportsystem mit kleinen und größeren Elektrofahrzeugen und Schwerlastverkehr sollte nur mit Sondererlaubnis den S-Bahn Ring überqueren dürfen.

Die Politik der Kompression, die Reduzierung des Verkehrsraums, wie sie zur Zeit verfolgt wird ist widersinnig, denn die Verkehrsteilnehmer brauchen nicht weniger sondern mehr Platz. Der ist in Berlin mit seinen breiten Straßen vorhanden. Es sollte darüber entschieden werden, wer ihn nutzen darf.

Ohne Privat-PKW und vom Akkord gestresste Lieferdienste wären wir einer lebenswerten Stadt ein gutes Stück näher. Das würde auch den zweirädrigen Todestrieb bekämpfen helfen.


Nachbemerkung: Der Autor dieser Zeilen fährt gerne selber mit dem Fahrrad. Er hat als Kind die Sechstagerennen im Sportpalast und im Peking der 1980ger Jahre erlebt, wie eine Millionenstadt ihre "Mobilitätsbedürfnisse" so gut wie ausschließlich mit Fahrrad und Busverkehr bedient. PKW gab es zu dieser Zeit nur mit Sondergenehmigung für Botschaften und Institutionen. Das funktionierte wunderbar.
Heute vermeidet es der Autor, sich mit dem Fahrrad durch den Berliner Straßenverkehr zu bewegen. Nachdem er in einer kurzen Zeitspanne mehrere Mordversuche, dieses Wort ist mit Bedacht gewählt, durch Lieferwagenfahrer überlebt hatte, war Schluss mit dem fröhlichen Strampeln.
Aus der doppelten Perspektive des Fahrrad- und Berufskraftfahrers kommt er zu der Schlussfolgerung, dass Berlin dringend für alle Platz schaffen muss, die zu Fuß, mit dem Fahrrad und mit Fahrzeugen unterwegs sind, welche die Stadt am Laufen halten. Sowohl Privat-PKW, als auch kommerzielle und damit stress- und ausbeutungsgefährdete Transporte haben auf den Straßen einer Stadt für Menschen nichts verloren.


Bildquelle: Logo des Artikels von Antonio Cansino, Pixabay Lizenz zur kostenlosten Nutzung


[1Ausnahmsweise steht hier das vom Partizip abgeleitete, Substantiv das anstelle des generischen Maskulinum so wie das längere "Radlerinnen und Radler" verwendet wird. Das ist eine Art Test, um herauszufinden, wie die hier eigentlich unangebrachte Form wirkt.

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