Fernsehkritik: Kanzlei Liebling Kreuzberg

Was die Besprechung in der Berliner Zeitung vom 27.9.2024 nicht sagt.

28. September 2024 von Klaus Meier
 

Was hat die Besprechung eines Fernsehfilms im Blog des Taxi-Soziallotsen zu suchen? Es geht darum, was normalen Menschen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in einer Anwältinnenserie über Arbeitsrecht vermittelt wird. Das ist hier komplett schiefgegangen. [1] Angekündigt war, dass es um Gerechtigkeit für kleine Leute geht und um Berlin. Das musste ich mir ansehen.

Brot und Spiele

Und so ist sieht das Ergebnis aus. Liebling Kreuzberg, Anwältin der Schwachen? Nix da. Überanwalt Manfred Krug gab als Fake-Berliner in der Serie „Liebling Kreuzberg“ scheinheilige Abendunterhaltung fürs Volk, Brot und Spiele auf Westfälisch-Westberlinerisch sozusagen. Die Remake-Pilotin surft auf einer Welle aus Eighties-Kreuzberg-Nostalgie, wokem Mindestkonsens und allem, was sonst noch ausreichend peinlich für eine ARD Degeto Produktion ist. Anderthalb Stunden Wohlgefühl für die Kleine Männin sozusagen. Falls die Pilotin erfolgreich ist und weitere Folgen gedreht werden, steht uns, was die Juristerei der Anwältinnenserie betrifft, schlimmes ins Haus. Aber dazu weiter unten.

Nach der Pilotin von „Liebling Kreuzberg 2.0“, so der Arbeitstitel, wünscht man sich fast die unangenehme Arztserie „Praxis Bülowbogen“ zurück. Die war mit Günter Pfitzmann, den auch jüngere Taxifahrer wegen des ihm gewidmeten Platz im Ortsteil Schlachtensee, ehemals Nikolassee, kennen sollten. Wenigstens ein Urberliner als Protagonist. Kanzlei hingegen ist so falsch und verlogen wie eine durchschnittliche Pressemeldung des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Nichts stimmt wirklich, alles könnte sein, aber die ganze Wahrheit ist immer eine andere. [2]

Wo ist das Problem?

Die Lieblingsanwältin im Fernsehen versteht ihr Handwerk nicht. Sie kennt das Arbeitsrecht nur aus der Perspektive eines erfolgreichen Freiberuflers, der sich daran gewöhnt hat, dass in der IMM-Branche [3] alle US-Unsitten im Umgang mit Arbeitenden schon lange normal sind. [4] In Kanzlei entlässt die junge Anwältin mit Prädikatsexamen ihre Mitarbeiterin einfach so, wie es in den USA üblich ist, dazu noch mit einer fadenscheinigen Begründung. So etwas kommt zwar in juristischen Berufen vor, ist aber unwahrscheinlich und vermittelt Zuschauerinnen, dass sie als Berufstätige im Grunde keine Rechte haben, [5] Das ist pure Desinformation. Das in Deutschland geltende Arbeitsrecht erlaubt so etwas nicht. Man kann Angestellte, zumal langjährige nicht einfach entlassen.

Kanzlei fördert das verbreitete Unwissen und falsche Vorstellungen vom geltenden Arbeitsrecht. Dabei kommt sie in so netter, beschwingter Gestalt daher, dass man den groben Patzer kaum wahrnimmt. [6]

Infolge permanenter Verbreitung von juristischer Desinformation durch öffentlich-rechtliche und private Medien kennen in vielen Branchen nur noch wenige Arbeitende ihre Rechte am Arbeitsplatz. Noch weniger trauen sich oder schaffen es, ihr gutes Recht durchzusetzen. Taxi- und Mietwagengewerbe sind davon besonders stark betroffen. Die kenntnisreichen Aktiven bleiben ohne die solidarische Unterstützung ihrer Kolleginnen und Kollegen im Betrieb chancenlos. [7]

Das Taxigewerbe ist schon seit Jahrzehnten Vorreiter dieser Entwicklung und wird mittlerweile an Brutalität und Konsequenz von Plattformbetreibern wie Uber und ihren Geschäftspartnern übertroffen. [8]

Als das Wünschen noch geholfen hat ...

Eine neue „Liebling Kreuzberg“ Anwältin der kleinen Frau würde sich mit den grundlegenden Problemen beschäftigen, die Menschen aus ihrem Umfeld betreffen. In der Dresdener Straße hinter dem Neuen Kreuzberger Zentrum (Eröffnungsszene) sind das vor allem Sozial-, Miet- und Arbeitsrecht, gegen die angesichts voranschreitender Verdrängung, Gentrifizierung und Ausbeutung zum Schaden einfacher Menschen täglich verstoßen wird.
In Kanzlei bleibt das Folklore.

Nachbemerkung [9]

Es gibt auch gute Anwaltsserien im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Dazu zählen Danni Lowinski mit Annette Frier, die als Anwältin ohne wohlhabende Stammkundschaft ihre Kanzlei am Tapetentisch im Untergeschoss eines Einkaufszentrums betreibt. Ihre Mandantinnen sind zum Beispiel eine philippinische Putzfrau, die nach fünf Jahren Schwarzarbeit mit 500 Euro abgespeist werden soll oder eine Prostituierte aus Kasachstan, die Probleme mit ihrer Aufenthaltserlaubnis hat.

Die Heiland – Wir sind Anwalt ist weniger interessiert an der sozialen Frage, dafür ist die Hauptfigur von der blinden Strafrechtsanwältin Pamela Pabst inspiriert, die Ihr Autor schon zur Arbeit fahren durfte.


[1Wer heute nach Liebling Kreuzberg googelt, wird mit einer Unzahl Ankündigungen überschüttet, die den Pressetext wiederholen. Die Marketingabteilung von ARD/DEGETO hat volle Arbeit geleistet. Die Fernsehserie „Liebling Kreuzberg“ mit Manfred Krug in der Hauptrolle war in den achtziger und neunziger Jahren ein Riesenerfolg. Daran soll angeknüpft werden. Es geht um einen Anwalt des Volkes und in der Neuausgabe um seine Enkelin, die die Mission ihres Großvaters im Berlin der Zweitausendzwanziger fortsetzt.
Die Berliner Zeitung hat Kanzlei Liebling Kreuzberg bereits vor der Ausstrahlung gesehen und pünktlich zur Ausstrahlung eine passable Besprechung von Torsten Wahl veröffentlicht. Zu juristischen Dingen hat die BLZ sich nicht geäußert. War dem Rezensenten wohl nicht so wichtig.

[2Soweit eine ganz undramaturgische Zusammenfassung des Narrativs. Es ist eigentlich uninteressanten, weil es in ARD, ZDF und den anderen Qualitätsmedien täglich heruntergebetet wird. Alles nur Fiktion, wie der Name der Herstellerin, der Firma Odeon Fiction schon sagt. Der Inhalt der Geschichte ist eigentlich egal sein. Hauptsache sie ist schön getextet, Berlin hübsch fotografiert und alles bleibt innerhalb des provinztauglich-bundesdeutschen Erfahrungshorizonts. Dafür dichten Drehbuchschreiberinnen doch dauernd. Sorry Andrej Sorin, aber mir geht gerade der innere Glatzeder durch. Ich weiß und bestätige hiermit offiziell, dass Sie kein Quotenmann sind und Ihr Handwerk verstehen.

[3irgendwas mit Medien

[4Der Autor, dessen Text Sie hier lesen, erinnert sich noch gut an die Fassungslosigkeit eines freien Fernsehproduzenten, den der Arbeitsrichter dazu verurteile, seinem jungen Mitarbeiter den vereinbarten jedoch vorenthaltenen Lohn für einen Arbeitstag zu bezahlen. Aber Halt ! Genau betrachtet ist der letzte Satz fast so falsch wie die Darstellung juristischer Zusammenhänge in Kanzlei. Man sah sich damals nur bei einem Gütetermin vor Gericht. Aus diesem Grund gab es kein Urteil sondern eine vom Arbeitsrichter vorgeschlagene Einigung verbunden mit dem Hinweis, dass der Ausgang eines Kammertermins recht klar sei, und er, der Richter ihn, den Produzenten, voraussichtlich zur Zahlung des Tageslohns verurteilen würde. Ihr Autor erhielt damals seinen Lohn, der Richter war froh, weil er keine weitere Arbeit mit der Lappalie hatte, und der Produzent suchte sich einen anderen Mitarbeiter, nachdem er die knapp zweihundert DM Lohn gezahlt hatte. Die Moral von der Geschicht, ein Medienmann klagt nicht. Medienfrauen tun das jetzt immer häufiger, was auch ihren männlichen Kollegen zugute kommt.

[5In Wirklichkeit hat der deutsche Gesetzgeber vor eine Kündigung für Arbeitgeber die Pflicht gesetzt, Beschäftigte bei vermeintlichem Fehlverhalten zunächst abzumahnen. Erst wenn die Abmahnung unwidersprochen bleibt oder von einem Gericht bestätigt wurde kann eine Arbeitnehmerin bei wiederholtem Verstoß gegen ihre Pflichten gekündigt werden. Bei besonders schweren Pflichtverstößen wie Diebstahl am Arbeitsplatz kann fristlos gekündigt werden. Eine Kündigung wie in Kanzlei wäre unwirksam und könnte die Arbeitgeberin teuer zu stehen kommen. Bei langjährig Beschäftigten kann sich eine Abfindung auf bis zu achtzehnMonatsgehälterbelaufen.

[6Das ist keine Lappalie, denn abhängig Beschäftigte benötigen gesetzlichen Schutz vor unmenschlichen Arbeitsbedingungen und Willkür der Arbeitgeber. Dieser Schutz ist heute in Gefahr. Die öffentlich rechtlichen Medienanstalten stehen in der Pflicht, darüber zu informieren, auch in Unterhaltungssendungen. Bereits die seit Jahrzehnten ausgestrahlten US-amerikanischen Krimi- und Gerichtsserien haben viel Verwirrung und Schaden angerichtet, weil kaum jemand die erheblichen Unterschiede zwischen US- und deutschem Justizsystem und den zugrunde liegenden Gesetzen kennt. Erklären Sie mir mal den Unterschied zwischen Common Law und dem römischen Zivilrecht in seinen Ausformungen als Code Napoléon und BGB. Straf- und Arbeitsrecht, die sich innerhalb dieser Rechtskreise entwickelt haben, weisen noch größere Unterschiede auf. Die wenigsten Fernsehserien zeigen, wie die rechtliche Lage in Deutschland aussieht.

[7So gut wie alle Medientitel, private wie öffentliche betreiben andauernd Ermutigung zu individueller Anstrengung und Erfolg. Die Vermittlung von Kenntnissen über Voraussetzungen und Rahmenbedingungen dieser Tugenden unterbleibt. Lernen und womöglich solidarisches Handeln stehen ganz unten auf der Beliebtheitsskala von Medienproduktionen. Deshalb tragen Produzentinnen, Autorinnen und Regisseurinnen mehr noch als Darstellerinnen einen erheblichen Teil der Verantwortung dafür, dass immer Menschen sich in ihrer Arbeitswelt als hilf- und wehrlos erleben. Mit der Komplizenschaft von Medien ist es so Ausbeuterfirmen gelungen, Geschäftsmodelle in ganzen Branchen durchzusetzen, die auf der Umgehung von Gesetzen zum Schutz der Arbeitenden beruhen.

[8Auf der politischen Ebene steht zu befürchten, dass es der rechten AfD gelingt, ihre Juristen in höchstrichterliche Positionen zu bringen. Sie würden voraussichtlich dafür sorgen, dass Willkür von Arbeitgebern gängige Münze wird. Noch herrscht eine auf Interessenausgleich gerichtete Entscheidungspraxis der Arbeitsgerichte vor, die zumindest dem Wortlaut der Gesetze genügt.

[9Nach-nachbemerkung
Sie haben es wahrscheinlich schon bemerkt : Dieser Text ist ein Versuch der moderaten Verwendung des Femininums. Garnicht so einfach aber immer noch simpler als die oulipotische Schreibweise.
Lehrsatz 1 : Alles hat ein Grenze.
Lehrsatz 2 : Man gönnt sich ja sonst nichts.

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