Was tun bei Betriebsschließung

Wenn der Taxibetrieb vor der Pleite steht, wird er dichtgemacht und die Angestellten entlassen. Was können die Betroffenen dann tun? Wir haben zum Thema Kündigung und Betriebsschließung Achim Klueß befragt. Er ist Richter am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Während seines Studiums hat Achim Klueß übrigens als Taxifahrer gearbeitet.

13. November 2020 von Klaus Meier

TXSL: Was können Taxifahrerinnen und -fahrer tun, wenn sie gekündigt werden?

Achim Klueß: Erst einmal sollte man immer kontrollieren, ob die Kündigungsfrist eingehalten wurde. War man 2 Jahre beschäftigt, beträgt sie zum Beispiel zwingend 1 Monat zum Monatsende, bei 5 Jahren 2 Monate und so weiter (§ 622 BGB).

Eine fristlose Kündigung ist immer nur wirksam, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt. Ein nachgewiesener Abrechnungsbetrug wird hier reichen, ein „normaler“ Verkehrsunfall oder das Erwirtschaften von zu wenig Umsatz genügen nicht. Hat der Arbeitgeber mit zu kurzer Frist gekündigt, muss er den Lohn nachzahlen, auch wenn nicht gearbeitet wurde.
Im Kleinbetrieb kann der Arbeitgeber eine fristgemäße Kündigung ohne Probleme aussprechen.

Werden mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt (Teilzeitkräfte zählen anteilig) und ist man selbst länger als 6 Monate beschäftigt, gilt das Kündigungsschutzgesetz. Für eine fristgemäße Kündigung braucht er dann einen nachvollziehbaren Grund. Bei anhaltenden Umsatzrückgängen kann dies anteilige Kündigungen rechtfertigen. Es muss dann aber eine Sozialauswahl gemacht werden. Es trifft dann diejenigen Kollegen, die am wenigsten schutzbedürftig sind.

Wichtig: man muss dann innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben.

TXSL: Wenn ein ganzer Betrieb geschlossen wird, denken die Kolleginnen und Kollegen oft, dass sie nichts machen können. Was gilt rechtlich bei Betriebsstilllegungen?

Achim Klueß: In Kleinbetrieben hat man keinerlei Chancen. Kommt das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung, also bei mehr als 10 Arbeitnehmern, steigen die Chancen. Eine ernsthaft beabsichtigte oder tatsächlich schon durchgeführte Betriebsschließung ist aber ein klassischer Grund für eine Kündigung. Von den Arbeitsgerichten ist das dann zu überprüfen.

Keine Betriebsschließung liegt hingegen vor, wenn der Betrieb nur von einem anderen Inhaber weitergeführt wird. Dies ist ein Betriebsübergang, der nie eine Kündigung rechtfertigen kann! Ist man unsicher, sollte man besser innerhalb der 3 Wochen Klage erheben.

TXSL: Die Kolleginnen und Kollegen verdienen meist sehr wenig. Sie können sich keine Anwälte leisten. Wie können sie ihre Interessen vor Gericht vertreten?

Achim Klueß: Sie können in der ersten Instanz an sich alles selbst machen. Ich empfehle aber, die Klageschrift durch die Rechtsantragsstelle des Arbeitsgerichts, Magdeburger Platz 1, 10785 Berlin, aufnehmen zu lassen. Die Kolleginnen und Kollegen dort sind super kompetent. Das Ganze ist kostenlos. Eine Rechtsberatung dürfen sie aber nicht erteilen.

Die Gerichtstermine kann man durchaus auch selbst wahrnehmen, was in etlichen Fällen so auch passiert. Oft kommen Vergleiche zustande. Manchmal wird die Klage zurückgenommen. Dann muss man keine Gerichtsgebühren zahlen. Hat der Arbeitgeber einen Anwalt, muss er den in der ersten Instanz immer selbst bezahlen. Insofern ist das Kostenrisiko gering, allenfalls fallen Urteilsgebühren an.- In der zweiten Instanz muss man sich anwaltlich vertreten lassen. Das Kostenrisiko ist da sehr viel höher.

Ist man Gewerkschaftsmitglied, zum Beispiel bei ver.di, übernehmen die kostenlos die Rechtsvertretung.

Eine dritte Möglichkeit ist die Beantragung von Prozesskostenhilfe. Dafür muss das aktuelle Einkommen relativ gering sein. Wohnkosten und Freibeträge werden abgezogen. Bei Vergütungen um den Mindestlohn herum erhält man oft Prozesskostenhilfe. Zusätzlich muss der beabsichtigte Prozess hinreichende Erfolgsaussicht bieten. Bei einer Kündigung und bei Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes ist dies praktisch immer der Fall. Wird Prozesskostenhilfe gewährt, finanziert der Staat einen anwaltlichen Beistand und die Gerichtsgebühren. Sollte nach Prozessende aber das Einkommen innerhalb von 4 Jahren nunmehr über den Freigrenzen liegen, verlangt der Staat die verauslagten Gebühren allerdings zurück.

TXSL: Fahrerinnen und Fahrer haben häufig keine schriftlichen Arbeitsverträge oder nur solche, die ausschließlich ihre Pflichten und Sanktionen für unerwünschtes Verhalten beschreiben. Was, wenn sie gekündigt werden?

Achim Klueß: Für einen Arbeitsvertrag und die Begründung eines Arbeitsverhältnisses reichen mündliche Absprachen völlig aus. Streitig ist dann meist aber der genaue Inhalt. Dazu ein Tipp: nach dem Nachweisgesetz (findet man im Internet) muss der Arbeitgeber einem die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich bestätigen. Dazu gehören der Umfang der Arbeitszeit und die Höhe des Arbeitsentgelts, also die Hauptstreitpunkte! Entweder einen klassischen Arbeitsvertrag oder einen solchen Nachweis sollte man immer, wirklich immer verlangen!

TXSL: In Taxibetrieben wird oft nicht schriftlich gekündigt, sondern es gibt einfach kein Auto mehr zum Arbeiten. Es kommt vor, dass ein neuer Betriebsinhaber behauptet, es gäbe mit ihm keinen Arbeitsvertrag und die alte Firma gäbe es sowieso nicht mehr. Betriebe verschwinden von einem Tag auf den anderen. Was können betroffene Angestellte tun, wenn sich ein Arbeitgeber an keine Regeln hält?

Achim Klueß: Kündigungen müssen schriftlich erfolgen (§ 623 BGB), also mit handschriftlicher Unterschrift. Mündliche Kündigungen sind immer unwirksam, auch im Kleinbetrieb.

Wird einfach kein Auto mehr zugeteilt, muss der Arbeitgeber diese Zeiten wie Arbeitszeit vergüten. Das Problem liegt woanders. Der Arbeitgeber wird oft behaupten, der Arbeitnehmer sei einfach nicht zur Arbeit erschienen. In einer gerichtlichen Auseinandersetzung muss dann aber der Arbeitnehmer beweisen, dass er arbeiten wollte. In solchen Fällen sollte er also einen Zeugen zum Arbeitsort mitnehmen und seine Arbeitskraft anbieten.

Wenn ein neuer Betriebsinhaber aus den gleichen Räumen, im günstigsten Fall auch mit den gleichen Taxen und vielen ehemaligen Angestellten den Betrieb führt, liegt ein Betriebsübergang vor. Das ist in § 613a BGB geregelt. Alle ehemaligen Arbeitsverhältnisse gehen zu unveränderten Bedingungen auf den neuen Inhaber über. Neue Arbeitsverträge, soweit man sie unterschrieben hat, sind regelmäßig unwirksam.

Verschwindet das alte Unternehmen oder der Inhaber „einfach so“, kann man ausstehende Löhne oder Ähnliches versuchen einzuklagen. Hat man einen wirklich unseriösen Arbeitgeber als Vertragspartner, der vielleicht ohne eigene sonstige Vermögenswerte lebt, wird man letztlich Pech haben. Selbst ein erfolgreiches Urteil bringt nichts, wenn dort nichts (mehr) zu holen ist.

TXSL: Taxi-Löhne unterschreiten seit Jahren regelmäßig den gesetzlichen Mindestlohn. Wie können Taxifahrerinnen und -fahrer geleistete Arbeitszeiten und die Unterschreitung des Mindestlohns gerichtsfest darlegen? Gibt es Fristen?

Achim Klueß: Das Mindestlohngesetz halte ich wirklich für ein absolut sinnvolles Gesetz, auch wenn der Stundensatz von 9,35 € (ab 1.1.2021 dann 9,50 €) für ein hoch entwickeltes Land deutlich zu niedrig ist.

Als Fristen greifen nur die allgemeinen Verjährungsfristen ein. Man hat also mindestens 3 und höchstens 4 Jahre Zeit für eine Klageerhebung. Prozesse, bei denen es um so lang zurückliegende Zeiträume geht, sind aber äußerst zäh. Die Fakten sind dann nur schwerer aufklärbar. Deshalb sollte man Entgelt möglichst für deutlich jüngere Zeiträume einklagen.

Die Kontrolle ist von der Rechtslage her an sich einfach: Das Monatseinkommen wird durch die tatsächlich geleisteten Stunden geteilt. Das Ergebnis darf nicht unter dem Mindestlohn liegen. Neben der reinen Lenkzeit sind auch Bereitschaftszeiten (Warten an der Taxihalte, auch wenn dabei ein Butterbrot gegessen wird) mit dem Mindestlohn zu vergüten!

Reine Pausenzeiten sind nicht zu vergüten. Bildlich gesprochen liegt eine Pause aber nur vor, wenn das Taxi abgeschlossen wird und man sich für 30 Minuten woanders hin begibt.

Das entscheidende Problem dürfte fast immer, insbesondere im Taxigewerbe, beim Nachweis der tatsächlich geleisteten Stunden liegen. Hilfreich und fast immer notwendig sind genaue eigene Aufzeichnungen für jeden Tag, mindestens Beginn und Ende und genaue Lage der Pause. Sinnvoll scheint mir auch die minutengenaue Erfassung von Fahrtzeiten und Wartezeiten (wo?) zu sein. Pauschale Angaben nach dem Motto: „Ich habe jeden Tag mindestens 13 Stunden gearbeitet“, reichen auf jeden Fall nicht.

Legen die Arbeitgeber dann abweichende Arbeitszettel vor, die vom Arbeitnehmer auch noch unterschrieben sind, kommt es darauf an, warum solche Aufzeichnungen nicht glaubhaft sein sollen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die dort aufgelisteten Standzeiten von wenigen Minuten täglich völlig unrealistisch sind.

TXSL: Vielen Dank für diese klaren, hilfreichen Auskünfte.

Ergänzungen

Achim Klueß empfiehlt uns die Lektüre des Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, vom 30. August 2018 – 26 Sa 1151/17 - alter Link
neuer Link (seit 1.1.2021)

Dazu die Pressemitteilung Nr. 16/18 vom 04.09.2018 des Arbeitsgericht Berlin - Link

Was tut die Gewerkschaft ?

Mitglieder von ver.di erhalten Rechtsschutz bei arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen. Das verbessert auch ihre Verhandlungsposition im Betrieb.

Damit die Belegschaft eines Betriebs zu ihrem Recht kommt, unterstützt die Gewerkschaft ver.di die Gründung von Betriebsräten, was natürlich vor der Schließung eines Betriebs geschehen muss.

Der Taxi-Soziallotse und das BALZ

Das Berliner Arbeitslosenzentrum (BALZ) hilft seit vielen Jahren bei Schwierigkeiten mit Arbeitsamt und Jobcenter. Die Beraterinnen und Berater des BALZ sind zu Verschwiegenheit verpflichtet.

Die Telefonnummern der Beraterinnen und Berater finden sich auf der Seite https://www.berliner-arbeitslosenzentrum.de/
Sozusagen für das "Selbststudium" bietet die WWW-Seite https://www.beratung-kann-helfen.de/ detaillierte Informationen zum Arbeitslosengeld II.

Für eine erste Orientierung und für Fragen, deren Beantwortung genaue Kenntnisse der Taxibranche voraussetzen, steht der Taxi-Soziallotse telefonisch zur Verfügung, bevorzugt aber nicht ausschließlich jeden Dienstag und Donnerstag von 10:00 bis 12:00 Uhr : +49 176 58 87 37 70.

Links

ver.di-Rechtsschutz
https://www.verdi.de/service/beratung-unterstuetzung/++co++649a25f6-bdc9-11e0-5bd8-00093d114afd

Prozess - und Verfahrenskostenhilfe
https://www.berlin.de/gerichte/was-moechten-sie-erledigen/artikel.418028.php

Rechtsantragsstelle des Arbeitsgerichts, Magdeburger Platz 1, 10785 Berlin
https://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/

Urteil des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg über die Mindestlohnklage eines Taxifahrers
https://gesetze.berlin.de/perma?d=JURE180015372

Nachweisgesetz
https://www.gesetze-im-internet.de/nachwg/

§ 622 BGB
https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__622.html


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